545, Essay zu “Exposure #1: N.Y.C., 545 8th Avenue, 01.07.00, 10:37 p.m.”

In der Stadt, zwischen den Türmen aus Glas, hängt manchmal an- und abschwellend das Heulen der Sirenen. Alles geschieht hier dicht an dicht und gleichzeitig in einer Ferne, aus der nur manchmal etwas schockartig herausbricht und die Dinge wie einen Schrei in bedrohliche Nähe bringt. In solch einem nahen und kurzen Moment, heißt es, stünde die Zeit still, aber sie tut es auf eine besondere Weise. Es scheint so, als führe solch ein Moment immer auch noch eine Vielzahl anderer Bilder von sich mit im Gepäck.

Stop zeigt ein Modell eines solch urbanen, derart in sich verpackten Augenblicks und besteht beispielhaft aus 12 Momentaufnahmen eines einfachen kleinen Sprungs, den die Künstlerin selbst aus dem Lauf heraus über das nächtliche Dach eines Hochhauses in Manhattan machte. 12 Kameras umstehen mit bereits geöffneter Blende die Springerin, um dann, nur ein einziges kurzes Blitzlicht lang, einen Moment des Sprungs aus 12 verschiedenen Perspektiven zu belichten. Die Aufnahmen zeigen also nicht, wie man zunächst annehmen möchte, verschiedene Phasen einer Bewegung, sondern, ähnlich der multiperspektivisch montierten Unfallszene im Film entpackt sich hier aus einem einzigen Bild eine Reihe von weiteren Bildern, die in einem inneren Zusammenhang alle denselben Augenblick meinen, ihn aber einem äußeren Zusammenhang nach unterschiedlich interpretieren.

Einige Aufnahmen wirken zum Beispiel wie Standbilder, etwa eines Krimis. Denn das Hochhausdach gilt im urbanen Mythos des Films als letzter Zufluchtsort für den, den die Stadt verwundet, verkannt, verachtet hat. Andere Aufnahmen wiederum, vor allem die Close Ups, erinnern an Modeaufnahmen und wieder andere an das, was sie ihrer Verwandtschaft nach noch am ehesten darstellen könnten: Momentaufnahmen einer Performance. Denn das Hochhausdach verspricht in diesem äußeren Zusammenhang nicht Geborgenheit, sondern ein Gefühl von Souveränität. Hier wird, so sagt diese Außenperspektive, jeder Schritt und jede Pose Avantgarde.

Es fällt zunächst schwer, sich von dem Eindruck dieser einmal entpackten Bilder wieder zu lösen, sind sie doch bestrichen mit dem Klebstoff der Klischees, die eine ganze Stadt als Set erscheinen lassen. Stop aber verlagert diese Aufmerksamkeit. Bald gilt sie nicht mehr der Stadt als Set, sondern der Arbeit an ihm, der Arbeit der das Modell umstehenden Kameras. Sie sind die fleißigen Gehilfen des Mythos und beinahe glaubt man, sie einen Stativschritt weitergehen oder gar untereinander flüstern zu hören.

Andreas Wutz
München
2000