Hallo Barbara. Wo bist du gerade und woran arbeitest Du zur Zeit?
Ich bin in New York und bereite meine Ausstellung für meine New Yor-
ker Gallerie, Murray Guy, vor.
Wie kamst du zur Fotografie? Wo waren die Anfänge?
Eigentlich studierte ich Bildhauerei, nicht Fotografie. Wir haben damals jeden Tag mit Ton Akt modelliert und haben versucht das Modell so naturalistisch wie möglich abzubilden. Irgendwann zu dieser Zeit nahm ich an einem Kurs für Fotografie teil. Wir lernten viel über Kameras und Objektive, wir lernten Film zu entwicklen, vor allem aber verbrachten wir viel Zeit in der Dunkelkammer. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich zum ersten Mal Fotopapier im Entwicklerbad sah, das langsam und geisterhaft mehr und mehr Spuren der Wirklicheit zu Tage brachte, bis sich schließlich ein komplettes Bild abzeichnete, mit feinsten Abstufungen von Schwarz, Grau und Weiß. Ich glaube die Tatsache, dass ich so intensiv mit Ton gearbeitet habe, einem absolut neutralen und referenzlosen Material, sensibilisierte mich für die Erfahrung mit Fotografie, einem Medium, welches ja direkt auf die Wirklichkeit verweist.
Welche anderen Medien hast Du, bezogen auf Deine Kunst, bereits
ausprobiert und wie hat Dich das beeinflusst?
Erst in den letzten Jahren habe ich realisiert, wie sehr meine fotografischen Arbeiten mit meinem früheren bildhauerischen Arbeiten in Verbindung stehen. Irgendwann fiel mir zum Beispiel auf, dass die Art und Weise, wie bei mir Modell und Kameras für eine Aufnahme arrangiert werden, unserer damaligen Vorgehensweise beim Aktmodellieren sehr ähnlich ist: Die Kameras umstehen mein Modell wie die Studenten das Aktmodell auf dem Drehtisch. Dieser Drehtisch wurde etwa alle 10 Minuten gedreht, so dass jeder Student das Modell aus jedem Winkel zu sehen kriegte. Irgendwie scheine ich also zu meinem Ausgangspunkt zurückgekehrt zu sein, natürlich unter anderen Bedingungen und mit anderen Absichten. Jetzt benutze ich Fotografie, nicht mehr Ton und die naturgetreue Abbildung des Modells interessiert mich nicht mehr. Vielmehr interessiert mich die Wirkung des naturgetreuen Abbildes – des fotografischen Abbildes. Wenn ich eine Bildreihe mache, erzeuge ich betimmte Effekte ganz bewußt und gleichzeitig enthülle ich sie als solche. Zum Beispiel: Eine Arbeit besteht aus 2 Aufnahmen einer Situation, aufgenommen im gleichen Moment. Das eine Bild ist dunkel und mysteriös; das andere eher hell und heiter. In dieser Nebeneinanderstellung scheinen diese beiden Bilder als pure Effekte von zwei verschiedenen Strategien der Bilderstellung auf.
Glaubst du, dass sich die Fotografie als Medium eines Tages
erschöpfen wird?
In unserer Welt steht die Fotografie sozusagen in voller Blüte und ihre Erschöpfung ist schwerlich vorzustellen. Ich finde, dass auch heute noch von der Fotografie ein gewisser Zauber ausgeht, was wohl von der Tatsache kommt, dass sie in der Wirklichkeit verankert ist. Zwar ist das Verhältnis der Fotografie zur Wirklichkeit im Zeitalter von Photoshop ein wenig beeinträchtigt, jedoch neigen wir immer noch dazu einer Fotografie glauben zu wollen, selbst im Wissen um digitale Manipulationsmöglichkeiten. Aber Fotografie verfälschte natürlich schon immer die Realität. Allein die Auswahl des Kamerastandpunktes durch den Fotografen beschränkt die Realität auf eine einzelne Perspektive und verfälscht sie somit. Aber es gab schon immer das Verlangen zu glauben, dass eine Fotografie uns zeigt ›wie es war‹. Für denjenigen, der sich diesem Glauben hingibt, ist Fotografie faszinierend. Wenn aber dieses letzte Vertrauen oder der letzte Glaube verschwindet, dann wird Fotografie unweigerlich ihren Wert verlieren.
Welche ist deine früheste Erinnerung an eine fotografische Situation?
Es kommt darauf an, was ihr unter einer “fotografischen Situation” versteht. In New York zu leben ist irgendwie wie in einer fotografischen Situation zu leben. Kein anderer Ort der Welt ist so durch und durch abfotografiert wie diese Stadt, was einem als Bewohner irgendwie das Gefühl gibt Teil einer riesigen dreidimensionalen Reproduktion zu sein.
Wie findest du deine Arbeit besser repräsentiert? Als Ausstellung oder als Buch?
Ich konzipiere meine Arbeit auch sehr stark im Hinblick auf ihre Betrachtung und Erfahrung im Raum; oft nehmen die Bilder einer einzigen Reihe einen ganzen Ausstellungsraum ein. Die einzelnen Bilder einer Reihe sind in meiner Arbeit nie als Einzelbilder konzipiert. Sie sind für die Beziehung zueinander konzipiert, in er sich die Bilder gegenseitig verunsichern und widersprechen. Der Raum dieser Verunsicherung ist der Raum zwischen den Bildern und wird wohl dem Betrachter bewußt, wenn er sich im Ausstellungsraum zwischen den Bildern hin und her bewegt. Insofern ist es für mich immer eine Herausforderung, ein Buch mit meinen Arbeiten zu machen – allerdings eine, die sich meistern lässt. Mein letztes Buch, das ich mit Steidl gemacht habe, ist gut gelungen.
Mehr und mehr Künstler scheinen als Kuratoren zu arbeiten, indem sie spezifische Ausstellungsformen für sich entwickeln. Glaubst Du, dass liegt am Bedürfnis, wieder mehr Kontrolle über die eigenen Arbeiten zu erlangen oder weil sich daraus neue Arten künstlerischer Feiheit ergeben?
Das hängt zweifellos vom Künstler ab. Es gibt Künstler, die das Kuratieren eher als ein Werkzeug für Kontrolle verstehen, andere wiederum kuratieren, weil sie ihre Idee umgesetzt sehen möchten, sei es innerhalb der Zusammenstellung von eigenen Arbeiten oder von verschiedenen künstlerischen Positionen.
Man sagt, dass die Fotografie durch die ihr immanente Zentralper- spektive ein souveränes Subjekt hervorbringt, welches im Mittelpunkt steht. Dir scheint das Gegenteil davon wichtiger zu sein, also das Auffächern des Blicks aus verschiedenen Richtungen auf ein und dieselbe Sache. Kannst Du erklären, was Dich daran reizt?
Die Zentralperspektive spiegelt die Bedingungen der menschlichen Wahrnehmung wider. Für uns gibt es zu jedem Zeitpunkt nur einen Blickwinkel aus welchem wir die Welt sehen können. Indem ich eine Szene gleichzeitig aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven fotografiere, mache ich das in der Wirklichkeit unsehbare sehbar.
In Akira Kurosawas Film »Rashomon« wird die Idee der ›einen‹ Wahrheit zu Gunsten mehrerer, verschiedener Perspektiven aufgelöst. Überhaupt könnte man sagen, dass die Idee einer einzigen Wahrheit naiv ist. Wo liegt für dich die Beziehung von Wahheit und Fotografie?
Die Beziehung zwischen Fotografie und Realität war mein Ausgangspunkt für die ›Exposures‹. Am Anfang war ich sehr daran interessiert, alle Aspekte dieser problematischen Beziehung auszutesten. Jetzt ist es naturgemäß Teil meiner Arbeit, aber schon lange nicht mehr der Ausgangspunkt. Diese Problematik ist doch ausführlichst diskutiert worden und für mich gibt es da nicht mehr so die Notwendigkeit genau hier weiterzuforschen. Ich verstehe meine Arbeit wohl eher als visuelles Statement, welches über dieses Problem hinausgeht.
Welche künstlerische Grundeinstellung zeigt sich in deinen Bildern? Was liegt Dir am Herzen und was kommt für Dich auf keinen Fall in Frage?
Meine Arbeit lässt sich als analytisch beschreiben. Ich interessiere mich für Strategien der Repräsentation, jedoch nicht für die Repräsentation selbst.
Du fotografierst die gleichen Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln, was uns unweigerlich an ›Same same, but different‹, einen Thai-Englische Redewendung erinnert. “Same same, but different” beschreibt Deine Arbeiten sehr treffend. Was ist die Herausforderung dabei?
Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich Dinge aus minimal abweichenden Blickwinkeln aussehen können. Wir denken immer, die anderen sehen die Dinge genau so wie wir sie sehen. Diese allgemeine Annahme ermöglicht es uns zu kommunizieren. Ohne sie könnten wir weder eine Zitrone ›gelb‹, noch ein Feuerwehrauto “rot” nennen. Wenn man sich das aber mal genauer ansieht, so steht diese Annahme auf ziemlich wackeligen Beinen. Bereits eine sehr geringe Abweichung des Betrachtungswinkels lässt einen gänzlich anderen Eindruck entstehen.
Glaubst du, dass es bestimmte Wesensmerkmale einer “deutschen Fotografie” gibt? Etwas einzigartiges, unverwechselbares? Sähest du dich als Teil davon?
Über nationale Besonderheiten nachzudenken interessiert mich nicht sonderlich. Es könnte beispielsweise anregender sein, über die Beobachtung zu sprechen, dass auf globaler Ebene alles immer ähnlicher wird – was zum großen Teil die Fotografie zu verantworten hat.
Wen sollten wir als nächtstes interviewen?
Den iranischen Filmemacher Abbas Kiarostami über seine Filme “Shirin” und “Taste of Cherry”.
Vielen Dank für das Interview.